Zwischen Klosterleben und Sex-Event

Ich verbringe gerade ein paar Tage in einem Schweizer Kloster. Sitze im Klostergarten unter dem Kirchturm, umgeben von biblischen Pflanzen und höre Orgelklängen zu, während ich mich mit dem Thema Tantra und Sexuelle Gesundheit für diesen Artikel befasse. Noch vor ein paar Wochen war ich auf der XPlore in Kopenhagen und konnte mich dem Thema Lust und Sexualität vor allem aktiv und im Ausprobieren widmen, quasi  als aktive sexologische Weiterbildung. Nun fühle ich mich gerade als Ball im Spiel der Polaritäten, der Extreme: Spiritualität und lustvolle Körperlichkeit in allen möglichen Facetten. Doch warum fühle ich so? Wieso steht auf der einen Seite die Spiritualität und auf der anderen die Lust?

Kann ich es mir selber erlauben,  mich im Kloster als sexuelles Wesen zu empfinden? Kann ich auch auf der XPlore inmitten der wildesten Workshops mich einfach nur halten lassen, während um mich herum gepeitscht, gebunden, geleckt, massiert und gevögelt wird?

Das der Gründer der Methode Sexocorporel, Jean-Yves Dejardins, nach der ich als Sexualberaterin arbeite, Pfarrer war, beruhigt mich und gibt mir Hoffnung, dass die beiden Pole doch nicht so weit voneinander entfernt sind.

Erfüllende Sexualität dient der Gesundheit

Eine etwas ältere Fassung  von 1974/75 der WHO-Definition lautet: „Sexuelle Gesundheit umfasst die Integration körperlicher, emotionaler, intellektueller und sozialer Aspekte des Sexualwesen Mensch im Sinne einer Bereicherung auf persönlicher Ebene wie auch von Kommunikation und Liebe. „

Diese Definition spricht für mich im Vergleich zu der heutigen Fassung vor allem den Aspekt der Kommunikation und der Integration auf persönlicher Ebene an und lässt auch Raum für ein Kontinuum von sexueller Gesundheit. Also kein „gesund oder krank“, sondern ein „sowohl als auch“. Denn auch ein Mensch mit Multipler Sklerose, der aufgrund seiner Erkrankung eine Erektionsstörung hat, kann trotzdem eine für ihn befriedigende Sexualität haben.

Wie also schaffen wir es, die verschiedenen Komponenten, aus denen die Sexualität zusammengesetzt ist,

  • Gefühle, Empfindungen und Emotionen,
  • Beziehungsaspekte,
  • Gedanken und natürlich auch
  • das sexuelle Handeln

miteinander in ein harmonisches Schwingen zu bringen? Dass alles so miteinander agiert, dass wir uns sexuell auf befriedigend erlebte Art und Weise ausdrücken und erleben können? Und somit die erfüllende Sexualität unserer Gesundheit dienen kann.

Was braucht es dazu?

Hier setzt für mich Tantra an. Die tantrischen Aspekte von „sein mit dem was ist“, „alle Gefühle da sein lassen“ und „zwischen den Polaritäten von Yin und Yang schwingen“,  sind für mich die Eckpfeiler meines persönlichen tantrischen Weges.

Zu lernen, aufmerksam auf meinen Körper zu lauschen und alle Gefühle und Empfindungen wahrzunehmen, sind für mich elementare Basis einer befriedigenden Sexualität. Denn beim Sex geht es doch ums Spüren, Wahrnehmen und Genießen. Was fühlt sich angenehm, erregend an? Was lässt mich eher kalt oder törnt mich ab? Wo fängt es an, besonders spannend zu werden und wo mag ich mich in unbekannte Gebiete neugierig vorwagen? Dies kann immer wieder unterschiedlich empfunden werden, je nach Stimmung, äußerer Situation und Partner.

Kommunikation und Consent

Es ist wichtig vor, während oder auch nach dem Sex mit dem Partner darüber (non-) verbal zu kommunizieren. Oder eben auch selber nachzufragen: „Fühlt sich das schön an was ich gerade bei dir mache?“, „Was kann ich sonst noch für dich tun?“, „Wie möchtest du gerne berührt werden?“ Jeder hat so seine individuellen Vorlieben und die gilt es, im Miteinander zu teilen.

Auch Consent oder das tantrische „ Ja zum Nein“ ist ein weiterer Baustein zur Sexuellen Gesundheit.

 

Wie in der WHO-Definition beschrieben: „Sexuelle Gesundheit setzt eine positive und respektvolle Haltung zu Sexualität und sexuellen Beziehungen voraus sowie die Möglichkeit, angenehme und sichere sexuelle Erfahrungen zu machen, und zwar frei von Zwang, Diskriminierung und Gewalt. Dies fängt für mich schon im Kindesalter an. Wie häufig gibt es Situationen à la „Gib‘ dem Opa doch ein Küsschen!“ oder „Setz dich doch auf Tantes Schoss!“, aber das Kind mag in dem Moment nicht. All dies führt dazu, dass das Kind gegen seine eigenen Abwehrempfindungen handeln soll und dies oft auch tut, da dies von den Eltern oder Verwandten eingefordert wird. Dies kann keine gute Basis sein, um dann im jugendlichen Alter mit einem freien und bewussten „Ja!“ oder „Nein!“ sexuelle Handlungen anzufangen. Deanne Carson, eine Sexualerzieherin aus Australien, hat ein Programm gestartet, um schon im Kindergarten die Jüngsten „Ja!“ und „Nein!“ sagen zu lehren. Ihr Video geht gerade auf Facebook viral.

Und auch, wenn ich zuerst „Ja!“ zum Sex gesagt habe, kann mein „Ja!“, wenn es sich nicht mehr stimmig anfühlt, zu einem „Nein!“ werden, in jedem Moment. Hier kommt das „Sein mit dem was ist“ ins Spiel.

Und dies führt mich wieder zurück zur XPlore nach Kopenhagen. Ja, ich habe „Ja!“ dazu gesagt mich auf diesem sexpositiven Playground zu tummeln. Inmitten des ansonsten sehr aktionsreichen Workshops „Temple Whore“ nahm ich wahr, dass ich so absolut gar nicht in sexuelle Interaktion jedweder Art gehen mochte und mich stattdessen gerne einfach nur halten lassen wollte. Die Fähigkeit, dies wahrzunehmen und auch zu verbalisieren, habe ich unter anderem auf meinem tantrischen Weg gelernt und bin dankbar dafür. So konnte ich mich, inmitten der mich umgebenden sexuellen Aktivitäten, in den Armen einer Frau wiegen und halten lassen. Und es war so schön zu erleben, dass „Alles da sein darf“, nicht nur in mir, sondern auch in dem Workshop Raum.

Tja, – und im Kloster?  Nun, in den Nächten dort habe ich mit einer Hand auf meiner Yoni und einer auf meinem Herzen selig geschlummert.

Dieser Artikel ist auch erschienen im Tantra-Newsletter September 2017 

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